#ausgehetzt

13.08.18

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Bayern. “Die Bayern sind die Fußkranken der Völkerwanderung”, pflegte einer meiner Geschichtslehrer zu sagen. Ein zusammengewürfeltes Volk von Migranten, das sind wir Bayern. Es scheint, dass das immer wieder in Vergessenheit gerät. Vor allem dann, wenn die CSU Angst hat, an eine rechtspopulistische Partei Wähler zu verlieren.

München. Die sicherste Großstadt Deutschlands. Und die mit dem zweitgrößten Ausländeranteil aller Städte in Deutschland. Der Ort, an dem ein Bündnis von 140 Vereinen, Parteien und Organisationen dazu aufgerufen hat, gegen die menschenverachtende Rhetorik der CSU zu protestieren.

Die Münchner, Regensburger und Augsburger Wampen treffen sich gegen 11.30 Uhr am Goetheplatz, und es herrscht Dauerregen. Fällt der Protest ins Wasser? Wird das Bündnis es schaffen, genügend Menschen zu mobilisieren – bei dem Sauwetter? Als der Marsch gegen 13.15 Uhr losgeht, gibt es erst noch einen gehörigen Duscher, und dann lässt der Regen nach. Trotz des Wetters werden bereits am Goetheplatz 18.000 Demonstranten gezählt. Langsam geht es zu zwei weiteren Stationen, an denen sich Menschen dem Zug anschließen. Zu langsam für zwei unserer Motorräder, die heiß laufen und geschoben werden wollen.

Ca. 50.000 Menschen nehmen schließlich an der Kundgebung teil. Der Königsplatz ist voll, und es bleibt trocken. Wir hören bewegende Worte von Claus-Peter Reisch, dem Kapitän der Lifeline, von Luise Kinseher, Urban Priol (“Der Himmel hat Tränen gelacht über die Plakate der CSU!”), von Georg Schramm, der Helmut Kohl zitiert: “Das Gebot der christlichen Nächstenliebe verlangt von uns materielle und geistige Opfer, um das Überleben von Millionen von Menschen sichern zu helfen. Das Bestreben, dem Grundrecht auf Leben weltweit Geltung zu verschaffen, muss zum moralischen Imperativ deutscher Politik werden. Wir müssen anders leben, damit andere überleben.”

Wer sich auf dem Königsplatz umsieht, merkt, dass dieser Protest aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Da stehen Nonnen neben Linken und Trachtlern, Senioren neben Kindern, und es sind ganz viele junge Leute da. Und von der Bühne kommen Worte, die dazu aufrufen, zu einen statt zu spalten. Ein_e Vertreter_in jeder teilnehmenden Partei bekommt die Gelegenheit, sich zu äußern, und hängen bleibt mir vor allem der Aufruf, zur Landtagswahl im Oktober zu gehen und ein Zeichen zu setzen, dass wir die Hetzerei satt haben. Neben Helmut Kohl wird auch Norbert Blüm zitiert: “Wir, die Bewohner der Wohlstandsinsel Europa, stehlen den Reichtum der sogenannten Dritten Welt und wundern uns, dass sich die Betroffenen auf den Weg machen. Ich sage voraus, es wird keine Mauer geben, die so hoch ist, dass sie eine Völkerwanderung stoppen kann.“

Claus-Peter Reisch berichtet aus der Praxis, und wir erfahren, wie die EU mit ihrer Verantwortung für die Seenotrettung umgeht. Suchflugzeuge sitzen an Flughäfen fest, sie werden schlicht nicht aufgetankt. Schiffen wird das Ablegen durch gezielte Bürokratie unmöglich gemacht. Wir wissen nicht einmal, wie viele Menschen täglich ertrinken. Eine Schweigeminute für die Opfer taucht den Königsplatz in Totenstille. Reisch richtet einen Appell an Kanzlerin Merkel, sich mit Rettungsorganisationen und Kirchenvertretern an einen Tisch zu setzen und einen Ausweg zu finden, so dass die Lifeline unter deutscher Flagge laufen kann.

Ich weiß nicht, ob auf der Kundgebung wirklich jemand daran glauben kann, dass das passieren wird. Aber es macht Hoffnung, dass so viele Menschen für Menschlichkeit auf die Straße gehen. Auch das ist München. Auch das ist Bayern.

Wolfgang Mederle

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